Die umgefaltete Teppichecke

Ich schliesse die Tuer hinter mir und ziehe meine Jacke us. Blicke auf den Kleiderhaken, doch anstatt meinen Arm zu strecken, werfe ich sie sie ueber den Stuhl.
In der Spuehle liegen drei Teller, der oberste mit Pesto und einer trocknenden Spagetto, und eine Tasse mit Kaffesatz. Ich mache das Wasser an, nehme die Tasse und spuehle sie ab. Der Seifenschaum vermischt sich mit den Pestoresten und die Nudel gleitet wie eine Schlange in den Ausguss. Ich mache das Wasser wieder aus und starre auf den Teller, waerend meine Haende feucht kalt tropfen. Die Schaumblasen drehen Kreise um die Oeltropfen. Platzen und lassen winzige Wellen ueber den Teller huschen. Ich wische meine Haende an der Hose ab und greife nach meinem Handy, keine neuen Nachrichten. Eine Freundin hat Fotos aus dem Jungel gepostet und mir wird ein Video angezeigt “Crossing the street, but you’re German…” und ich lass das Handy zurueck in die Hosentasche fallen. In mir steigt das Gefuehl auf das da noch etwas war das ich machen wollte, doch ich erinnere mich nicht.
Mit der rechten Hand oeffne ich den Kuehlschrank und das Licht schmerzt einen Moment. Zwei schalen verstecken zwischen sich das Essen von Gestern, ein Apfel der im blauen Kuehlschranklicht nicht mehr ganz frisch aussieht. Auf der Rueckwand laufen zwei Tropfen um die Wette und ich denke das ich mal wieder enteisen sollte. Ich schliesse die Tuer wieder ohne den Griff loszulassen, und oeffne sie wieder. Diesmal erfordert es etwas mehr Kraft. Doch im Kuehlschrank ist immer noch das Gleiche. Ich spuehre den Hunger in meinem Bauch, schliesse den Kuehlschrank wieder und setze mich an den kleinen Kuechentisch.
Aus dem Fenster sehe ich am Himmel kein Blau, nur helles und dunkles Grau. Ich schlage das Buch auf dort, wo ich die leere Kaugummipackung zwischen die Seiten gelegt hatte und lese “Big Tony’s room wasn’t what Dale had expected. The light had an odd yellowish cast that” meine Augen sehen die folgenden Worte noch, aber sie kommen nicht in meinem Kopf an und ich merke das mir Big Tony, Dale und eigentliche das ganze Buch komplett egal sind. Meine Augen huschten ueber die Worte wie eine Berglandschaft im Nebel. Mit dem Zeigefinger noch zwischen den Seiten klappe ich das Buch wieder zu.
Die Holzmaserung des Tisches ist unterbrochen von unvollschaendigen braunen Kreisen dort wo gestern die Kaffeetasse gestanden haben muss. Wie die ersten Regentropfen auf dem stillen Wasser waren sie fast zufaellig verteilt und ueberlagerten oder verschwanden im Braun des Holzes an einem Ende. Zwischen zwei dieser Kreise ist ein Fleck auch braun aber dunkler als das dunkelste Astloch und dunkler als die Kaffeekreise. Ich kratze mit dem Fingernagel und er verschwindet wiederwillig, zwischen meinen Fingerspitzten richtes suesslich, vielleicht Schokolade.
Ich stuetze den Ellenbogen auf den Tisch und lege das Gesicht in die Handflaeche. Fuer einen Moment ueberkommt mich eine Welle der Erschoepfung und ich schliesse meine Augen. Doch die Dunkelheit verschafft nicht die erwartete Erleichterung. Wie elektrische Blitze zucken die Gedankenfetzen grell durch die Dunkelheit. Verzogene Gesichter, unausgesprochene Satzfetzen, … ich hebe den Kopf wieder und reibe mir mit den Fingern die Augen das es funkelt und schmerzt.
Stuetze mich auf und blicke im Zimmer mich um, in der Hoffnung etwas wuerde mir ins Auge springen und aus dieser Trance retten. Dort wo der schwarz-weis gestreifte Teppich mit seiner Ecke auf die Tuer zeigen sollte, ist statdessen die Ecke umgefaltet und entbloesst seinen grauen Bauch. Ohne jeglichen Grund blicke ich auf die Teppichecke, mein Blick stecken geblieben wie ein Ast im Bach an einem Stein stecken bleibt. Und ich bemerke das ich immer noch auf die Teppichecke blicke ohne recht zu wissen wieso, aber auch ohne Grund nicht auf diese Stelle zu blicken. Ich waage fuer ein paar Sekunden ab ob ich nicht woanders hin sehen sollte, doch treffe keine Entscheidung.
Nun wird mir bewusst das ich eine ungewoehnlich lange Zeit schon auf diesen Punkt blicke und das wenn ich nicht alleine waere, es durchaus nicht unangebracht sein wuerde fuer jemanden sich zu erkunden wieso ich denn auf die umgefaltete Teppichecke blicken wuerde. Und dass falls mich jemand darauf ansprechen wuerde, dass ich eine Antwort geben muesste, die ich in diesem Moment nicht parat haette. Und weiter dass das Ausbleiben dieser Antwort durchaus zu weiteren Fragen fuehren koennte deren Antworten ich erst recht nicht geben koennte.
Ich treffe also die Entscheidung diese Teppichecke nicht mehr anzublicken und stattdessen irgendwo anders hin zu gucken, sei es weiter nach oben, links, rechts oder auch unten. doch ganz entgegen meiner Erwartug bewegen sich meine Augen nicht. Als scheinen sie den all zu klaren Befehl entweder nicht zu hoeren oder gar sich ihm zu wiedersetzen. Doch das Bild des dreieckigen Teppichbauches verlaesst mich nicht. Mit geschlossenem mund schreie ich in Gedanken panisch. Fast spoettisch verharrt die Teppichecke und beginnt sich in meiner Vision zu verschieben und verdoppeln sodass ich sie jetzt zweimal voraugen habe, eine schwammige Sicht au zwei umgefaltete Teppichecken.

Mit jedem ausatmen und senken meiner Brust breitet sich eine Schwere in meinem Oberkoerper aus. Ein Gewicht auf meiner Lunge das mit jedem Mal das einatmen schweren werden laesst. Die Zaehne druecken steif aufeinander und die Zunge liegt dick in meinem Mund. Regungslos stehe ich da mitten in meinem Zimmer und starre auf die umgefaltete Teppichecke, erfuellt nur mit einer alleinzunehmender Lustlosigkeit. Der Tank mag wohl voll sein und doch volkommene Antriebslosigkeit. Mir fehlt jedweilige Entschlossenheit oder Beduerfnis um auch nir meine Augen, geschweigen denn ein kleinen Finger zu bewegen. So bleib ich wie ein Stein stehen in der Hoffnung das irgendein Juckreiz, Durst, Hunger, Schmerz oder irgendetwas stark genug wird um mir einen Grund zu geben mich zu bewegen.
Doch fuer jetzt gibt es keinen Grund irgendetwas zu tun. An der Seite wo der Teppich auf die Tuer zeigen sollte, blicke ich stattdessen auf seinen grauen Bauch, dort wo die Teppichecke umgefaltet ist.

Barcelona, 25.02.2025

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